Eine Serie in 5 Teilen – Teil 2/5
Hast du schon einmal eine Frau in einem Kleid stolz ausrufen hören: „Und es hat Taschen?!“ Wir alle kennen den Wow-Effekt, den ein so simples Stück Stoff haben kann. Was viele jedoch nicht wissen: Taschen tauchten in der Damenmode erst während des Ersten Weltkriegs auf.
Im Mittelalter trugen Frauen ihre Habseligkeiten in einem Beutel, der unter dem Unterrock befestigt war. Er war durch kleine Schlitze im Rock erreichbar – manchmal schnitten die Frauen diese sogar selbst hinein, um leichteren Zugang zu haben. Diese „Taschen“ waren oft bestickt oder verziert und dienten nicht nur der Aufbewahrung, sondern auch als privates, sicheres Behältnis.
Im 17. Jahrhundert jedoch wurde die Damenmode immer aufwendiger. Kleider wurden enger und unpraktischer, sodass Frauen ihre Aufbewahrung nach außen verlagern mussten. So entstand das Reticule – eine frühe Form der Handtasche. Anders als die verborgenen Beutel des Mittelalters war das Reticule zum Vorzeigen gedacht: ein Accessoire, das Notwendigkeit und Schmuckstück zugleich war.

Frauen hatten weniger Unabhängigkeit als Männer und blieben zu Hause. Die Modeindustrie wurde von Männern dominiert – und die Designer entschieden schlichtweg, dass Frauen keine praktische Kleidung brauchten. Da es die Männer waren, die arbeiteten, Dokumente mit sich trugen usw., waren sie angeblich die Einzigen, die funktionale Kleidung benötigten. Logisch und gerecht, oder? Hm … wohl eher nicht.
Springen wir ein paar Jahre weiter: Erst im frühen 20. Jahrhundert erkämpften sich Frauen ihr Recht auf funktionale Kleidung zurück. Die Suffragetten nähten Taschen in die Kleidung, die sie kauften, und entwickelten sogar den „Suffragette Suit“ – mit ganzen sechs Taschen. Die Modeindustrie aber blieb weiterhin männerdominiert, verhaftet in der alten Denkweise, dass Frauen so etwas schlicht nicht nötig hätten.

Während des Ersten Weltkriegs gaben die Männer ihre regulären Berufe auf, um in den Krieg zu ziehen – und wer übernahm? Natürlich die Frauen. Von der Vorstellung, dass Frauen zu Hause bleiben müssten, hin zu einer Generation, die plötzlich ganze Arbeitsfelder übernahm – das war ein gewaltiger Wandel, der nicht nur die Modewelt veränderte. Kleidung für Frauen, die zuvor in erster Linie dazu diente, das Auge zu erfreuen, wurde nun endlich praktisch und funktional – geschaffen für jemanden, der wirklich arbeitete.
Das verschaffte Frauen zugleich Unabhängigkeit und das Recht, eigenes Geld zu verdienen – und schon bald darauf auch das Recht zu wählen.
Die Redewendung „die Hosen in der Beziehung anhaben“ bedeutet, das Sagen zu haben und die wichtigen Entscheidungen für beide zu treffen. Genau das taten Frauen nun wortwörtlich, denn sie begannen, Hosen zu tragen – mit großen Taschen! – als Folge dieser Revolution.
In den 1920er-Jahren veränderte Coco Chanel die Modeindustrie ein weiteres Mal grundlegend, indem sie Hosen auch in der Alltagsmode etablierte – und nicht nur für Frauen, die in Fabriken arbeiteten. Chanel hat die Mode gleich mehrfach revolutioniert.

Nach beiden Weltkriegen übernahm wieder die feminine Mode die Branche. Als die Kleidung erneut enger und figurbetonter wurde – verschwanden auch die Taschen. Deshalb sind Taschen in der Damenmode bis heute deutlich seltener zu finden als in der Herrenmode. Vielleicht ist es also gar nicht so ungewöhnlich, dass wir so begeistert reagieren, wenn ein Kleid Taschen hat, oder?
xx Sofia Katarina